Die 80/20 Dissertation
Es heißt (frei nach Vilfredo Pareto), 20% des Aufwands bringen 80% des Ergebnisses. Jeder Aufwand, der darüber hinaus investiert wird, erbringt nur geringe und dazu noch stark abnehmende Verbesserungen in Bezug auf das Resultat.
Zum Beispiel: 20% der Kunden bringen 80% vom Gewinn. (Im Internetzeitalter dann wohl eher 2/98 --> s. Dropbox, Flickr, Open Source-Projekte etc.) Der Fokus sollte also zunächst darauf liegen, die 20% glücklich zu machen, die 80% des Gewinns bringen.
Ich war bisher der Meinung, dass man bei "Dingen, die gut werden sollen", schon auf die 100% (oder zumindest 90%) kommen sollte. Aber ich habe erfahren, dass der Mehraufwand tatsächlich selten lohnt. Der Feinschliff an irgendwelchen Arbeitsergebnissen (Präsentation, Abschlussbericht, Song, Software) fällt fast nie jemandem auf. Und wenn, dann ist dessen Meinung irrelevant.
Aber ist es nicht
gefährlich, eine solche Herangehensweise auch bei der Doktorarbeit an den Tag zu legen? Das klingt doch nach Plagiat und Halbwahrheiten, nach wissenschaftlicher Unredlichkeit und handwerklichem Pfusch.
Hier meine Argumente für die
"80/20 Dissertation":
- nur das Wesentliche zu schreiben und Unwichtiges wegzulassen ist die Aufgabe des Wissenschaftlers, um das Verständnis der Arbeit zu gewährleisten
- 80/20 zwingt dazu, die Forschungsidee (Was soll wie und warum herausgefunden werden?) extrem kondensiert darzustellen, was eine sehr klare Idee voraussetzt
- Gutachter müssen sich nicht durch Seiten von unnützem und ohnehin mehr als geläufigem Wissen quälen
- die ersten 20% einer Literaturrecherche sollten die wichtigsten Quellen zu Tage fördern
- es werden keine Steuergelder für die ausschweifende Dokumentation bekannter Sachverhalte verballert
- es bleibt mehr Zeit für tatsächliche Forschung und Industrieprojekte
Das Potenzial ist also für alle Beteiligten sehr hoch.
Ich sehe dabei folgende Risiken:
- Legitimationszwang gegenüber Anderen ("Du kannst doch bei der Diss nicht 80/20 machen!")
- Unvollständigkeit: wichtige Aspekte (z. B. einzelne wichtige Quellen oder mögliche Lösungswege) können leichter untergehen
- Tiefe: die inhaltliche Tiefe des eigenen wissenschaftlichen Beitrags könnte zu gering sein
Das erste Risiko ist nur sozialer Druck, dem auszuweichen ist. Mit Unvollständigkeit lebt man wohl immer. Aber allzu viele Meinungen kann und sollte man ohnehin nicht einbringen. Das verwässert nur die Argumentationslinie. Bleibt noch die Tiefe des eigenen Beitrags. Mh... darauf sollte man sich dann wohl konzentrieren und ein bisschen länger darauf herumdenken. Aber auch da gilt wahrscheinlich: 20% der Idee machen 80% des Beitrags.
Also, ist die 80/20 Dissertation gefährlich? - Ja.
Sollte man es deshalb sein lassen? - Auf keinen Fall.
Update 14.07.2014: Habe gerade in einer
MindMap mit Produktivitätstipps eine weitere Umschreibung von Pareto gefunden, die hier ganz gut passt: "Focus your energy on that critical 20%, and don't overengineer the non-critical 80%." - Die Wahl des Begriffs
Overengineering macht es eigentlich zur wertvollen Lektion: Nicht mehr als das machen, was der Kunde (a.k.a. der Prüfer) haben will. Kein unnötiger Perfektionismus. Oder nach Wikipedia: Das Produkt sollte "weniger nicht benötigte Leistungsmerkmale" aufweisen. Oder nach meinem
Lieblingsprinzip der agilen Softwareentwicklung: "Einfachheit - die Kunst, die Menge nicht getaner Arbeit zu maximieren - ist essenziell."
Dafür muss man natürlich wissen, was der Kunde haben will.
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